Rainer Gruber (Foto: Jeannette Kummer)

Essay von Dr. Hartmut Dedert

Wie es ist, den Boden unter den Füßen zu verlieren

Summa cum laude-Promotion, Stipendiat der Deutschen Forschungsgesellschaft mit glänzenden Karriere-Aussichten, Engagement im Kommunistischen Bund Westdeutschlands, Arbeitslosigkeit, Broterwerb als LKW-Fahrer, Anstellung in der Motoren-und Turbinen-Union München und schließlich, nach einer entsprechenden Zusatzausbildung, Programmierer im Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik – solche beruflich-biografischen Daten können nur Schlaglichter auf einen Menschen werfen, der im emphatischen Sinn des Wortes ein Forscher war, ein Forschender, der die Ergebnisse seines Forschens immer auch teilen und mitteilen wollte.

Was Rainer bewegte und wie er es verstanden hat, seine Überlegungen auch Menschen ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund nahezubringen, das lässt sich geradezu exemplarisch an einem Vortrag nachvollziehen, den er am Samstag, dem 3. Juni 2017 im Kunstpavillon des Alten Botanischen Gartens in München gehalten hat. Unter der Überschrift „Wie es ist, den Boden unter den Füßen zu verlieren“ untersucht er darin seinen eigenen Worten zufolge „drei Aspekte des Themas“, nämlich:

  1. „wie wir überhaupt Boden unter die Füße bekommen haben“
  2. „wie die moderne Physik uns den (klassischen) Boden unter den Füßen wegzieht“
  3. „wie die moderne Physik ihren eigenen Boden unterminiert und sich dabei mit der Philosophie trifft“

In einer E-Mail an seine Freundinnen und Freunde hatte Rainer die Veranstaltung zuvor als „Astrospecial im Rahmen der Ausstellung Swinging Stars“ der beiden Bildenden Künstlerinnen Maria und Neda Ploskow angekündigt und die zumeist wohl eher kunst- als physikaffinen Adressaten anschließend mit den aufmunternden Worten eingeladen: „Keine Bange. Nehmt es wie ein Märchen!“

Besonders prägnant und in schöner, zu Beginn geradezu kunstvoller Anschaulichkeit offenbaren dabei die folgenden Ausführungen (mit denen Rainer das erste Kapitel seiner Überlegungen abschließt) zentrale Motive seiner weitgespannten Forschungs-, Begründungs- und Vermittlungsperspektive:

„Irgendwo als seitliche Arabeske einer Galaxie hat sich ein kleiner vergleichsweise ruhiger Fleck im Sturm, die Sonne, gebildet, mit einer Gruppe von Followern im Schlepptau, mittendrin ein kleiner Balkon, die Erde, und auf ihr ein fester Boden, ein Zuhause: der kleine Ort Lenzkirch im Hochschwarzwald.

Die Kühe stehen auf der Wiese, Apfelbäume blühen, der Heuwagen fährt abends auf der ungeteerten Straße vorbei, mit den jungen Frauen und Burschen des Dorfes oben auf dem Heu, sodass sie neugierig in die Wohnung im 2. Stock blicken können. Der kleine Junge sitzt auf der Wiese am geschützten Teich, onaniert ein bisschen und weiß nichts davon, ob die Zeit still steht oder vergeht. Boden unter den Füßen hat etwas mit Heimat zu tun.

Als Flüchtlingskind begreift er aber auch, dass der Boden unter den Füßen eine andere Färbung hat, wenn einem etwas gehört. Das Exklusionsprinzip des Eigentums, das ‚mein und nicht dein’, ist die kleine verletzende Schramme in der Kinderseele. Alle haben etwas, wir haben nichts. Katholische Kinder kommen in den Himmel, evangelische in die Hölle.

In der Schule lernt er dieses Exklusionsprinzip als machtvolles Prinzip einer festgefügten Logik kennen. Ja oder Nein, tertium non datur, immer mit einem kleinen: basta! in der Hinterhand. Logik schafft Sicherheit: Was ich schwarz auf weiß habe, das ist. Was nicht ist, das ist nicht. Die Dinge haben eine Existenz im Raum. Raum ist zeitlos. Jetzt ist überall jetzt. Die Zeit ist universal. Und indem sie läuft, können wir sie messen. Zahlen geben Halt.

Boden ist sichtlich nicht gleich Boden. Boden unter den Füßen als Moment des Eingebettetseins in einem Zuhause mit seinen Lieben verflüchtigt sich. Der Boden wird abstrakt, eine angestrebte Gewissheit im Kopf.

Die klassische Physik bietet der Gewissheit ein starkes Zuhause. Wissenschaft schafft Technik. Wissenschaft heißt, eine Frage so zu stellen, dass sie mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Die Scheidung des Ja oder Nein als Sockel von Wissenschaftlichkeit erscheint nun logisch.

Mit der modernen Physik wird das anders. Was ich an der Physik so schätze, ist ihr Vermögen, die eigenen Voraussetzungen zu unterminieren.“

Mit seinen Ausführungen zum Verlust des Bodens unter den Füßen gibt Rainer in mehrfacher Hinsicht Aufschluss über zentrale Motive seines Denkens und Handelns. Zum einen lässt er mit seinem Abstecher in die eigene Kindheit und der Erinnerung an die schmerzhafte Erfahrung, als Flüchtlingskind nicht dazu zu gehören, zumindest erahnen, was ihn dazu motiviert haben könnte, dass er sich sein Leben lang einen wachen Blick, ein feines Gespür dafür bewahrt hat, was das „Exklusionsprinzip des Eigentums“ konkret für Menschen bedeutet, die ausgegrenzt werden, weil sie ohne Eigentum sind. Zum anderen aber benennt er mit den Themen Zeit und Raum, mit seiner Kritik an der Ja-Nein-Logik der klassischen Physik sowie seiner abschließenden Würdigung der paradoxen Leistung der modernen Physik auch im eigentlichen Sinn des Wortes „grundlegende“ Motive in seinem Werk. Nicht zuletzt aber belegt die zitierte Passage aufs Schönste, wie Rainer konkret verfährt, um ein Publikum zu erreichen, das den Naturwissenschaften (zumal der Physik) vielleicht mit Respekt begegnet, größtenteils aber wohl über nicht mehr als das übliche Schulwissen verfügt. Wie es ihm bei seiner Beweisführung in der Mathematik offenbar ein Anliegen war, elegante Lösungen für seine Berechnungen zu finden, so war ihm bei seinen Vorträgen vor einem Laienpublikum daran gelegen, seine Überlegungen verständlich zu machen, eine Perspektive zu finden, die auch die an Bildern interessierten Gäste einer Kunstaustellung verstehen können. Von ihm selbst als „Astrospecial im Rahmen der Ausstellung Swinging Stars“ angekündigt, führt sein Vortrag die Besucherinnen und Besucher in der gleichsam universalen Perspektive einer imaginären Reise durch die unendlichen Weiten des Kosmos zu den grundlegenden Fragen, die sich der (Astro-)Physik aus Rainers Sicht stellen. Nach Art eines Science-Fiction-Films zoomt er zunächst in wenigen Worten von einer Galaxie im Weltall über die Sonne und ihre Planeten zur Erde, um hier schließlich in dem „kleine(n) Ort Lenzkirch“ – und damit in der eigenen Kindheit „im Hochschwarzwald“ zu landen: „fester Boden, ein Zuhause“.

Mit wenigen Strichen skizziert er anschließend Erfahrungs- und Erinnerungsbilder einer Kindheit in der deutschen Nachkriegszeit und evoziert dabei zunächst fast schon pointillistisch ein ländliches Idyll mit nahezu allen Ingredienzien, die das Genre verlangt: Kühe auf der Wiese, bäuerliches Personal, Bäume, ein Teich. Und wie die Hirten in der Idylle, in der die Zeit per definitionem stillgestellt ist, weiß auch die Erinnerungsfigur des kleinen Jungen „nichts davon, ob die Zeit still steht oder vergeht.“ Im Unterschied allerdings zum Gattungsvorbild, dessen Schäfer und Schäferinnen sich in sanften, allenfalls angedeuteten erotischen Phantasien ergehen, darf sich Rainers Kindheitsheld in einer geradezu gemütlich-ironischen Variation der Liebesthematik mit sich selbst vergnügen: Der Kleine „onaniert ein bisschen“. Wenn dieser fast beiläufige Hinweis auf eine in der Kinder- und Jugendpsychologie längst bekannte Praxis vom zarten Andeutungsspiel der Idylle wie vom sachlichen Objektivitätsduktus eines wissenschaftlicher Vortrags auch zweifellos abweicht, ist er doch kaum als provokativer Tabubruch gemeint, sondern eher als humorvoller Schlenker, der die Zuhörer vielleicht kurz verblüffen, dann aber doch wohl zum Schmunzeln bringen wird – und damit dazu beitragen kann, den Ausführungen des Referenten weiter gespannt zu lauschen.

Wie Rainer Gestaltungselemente von Science Fiction und Idylle nutzt, gelegentlich auch mit solchen selbstironischen Pointen arbeitet, um sein Publikum anzusprechen, so bedient er sich gekonnt auch anderer stilistischer Mittel, die man im Vortrag eines Physikers nicht unbedingt erwarten würde. Mühelos, geradezu chamäleonartig bewegt er sich zwischen Umgangssprache und Jugendjargon, jongliert gekonnt zwischen Kindersprache und dem objektivierenden Sprach-Duktus von Wissenschaft und Philosophie. Mit sanfter Ironie tituliert er die Planeten als „Gruppe von Followern im Schlepptau“ der Sonne, nennt das „Exklusionsprinzip des Eigentums“ eine „kleine verletzende Schramme in der Kinderseele“ und schafft es, das Axiom vom ausgeschlossenen Dritten („tertium non datur“) in unmittelbare Nachbarschaft zu „einem kleinen: basta! in der Hinterhand“ zu platzieren.

In einer anschaulichen, bilderreichen Sprache gleitet er dabei leicht und kaum merklich vom familiären Erfahrungshorizont seiner offenkundig autobiografisch geprägten Heldenfigur über das in der dörflichen Schule geprägte Alltagswissen bis zu den Allgemeingültigkeit behauptenden Sätzen der klassischen Physik. Indem er die kindliche Perspektive übernimmt („Alle haben etwas, wir haben nichts.“), lädt er sein Publikum zur Identifikation ein und macht mit dem Blick auf die kindliche Lebenswelt plausibel, wie der evangelische Flüchtlingsjunge mit der Erfahrung der Ausgrenzung in einer katholischen Dorfgesellschaft das „Exklusionsprinzip des Eigentums“ kennenlernt, das ihm in der Schule schließlich „als machtvolles Prinzip einer festgefügten Logik“ wiederbegegnet. Geradezu mimetisch, wie wenn er das in der Schule seiner Kindheit praktizierte Einpauken des Lernstoffs in Erinnerung bringen wollte, zeichnet er in einer nahezu stakkatoartigen Aufzählung von zumeist kurzen, apodiktisch formulierten Sätzen die in der klassischen Physik entwickelte Logik und die mit ihr gewonnenen Vorzüge nach. „Logik schafft Sicherheit: Was ich schwarz auf weiß habe, das ist. Was nicht ist, das ist nicht. Die Dinge haben eine Existenz im Raum. Raum ist zeitlos. Jetzt ist überall jetzt.“ Mit der lapidaren Feststellung „Boden ist sichtlich nicht gleich Boden“ stellt er die auf Messbarkeit und Abstraktion beruhenden Logik der klassischen Physik und der mit ihr gewonnenen Sicherheit schließlich als „eine angestrebte Gewissheit im Kopf“ grundsätzlich in Frage, um diesen Teil seiner Ausführungen mit dem Bekenntnis zu beenden: „Mit der modernen Physik wird das anders. Was ich an der Physik so schätze, ist ihr Vermögen, die eigenen Voraussetzungen zu unterminieren.“

Ähnlich wie bei der Einladung zu seinem Vortrag im Kunstpavillon hat Rainer auch bei anderen Gelegenheiten seine Erklärungen und Kommentare für Menschen ohne (natur-)wissenschaftlichen Hintergrund gern mit dem Mutmacher „Keine Bange!“ begleitet. Ganz gleich, ob er in einer seiner Rund-Mails die komplizierte Anleitung des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik zur Bekämpfung eines neuen Virus so umgeschrieben hat, dass auch Gelegenheitsnutzer sie nachvollziehen konnten, oder ob er einem Freund die Geheimnisse der Energie nahebringen wollte, ihm erklären wollte, was Masse ist, was eine Fallbeschleunigung und mit welchen Formeln so etwas zu berechnen ist – immer hat er versucht, und zumeist mit Erfolg, seinem Gegenüber zumindest die Angst vor der fremden Materie zu nehmen, ihm Mut zu machen.

Keine Bange – das galt aber auch für Rainer selbst. Ausgesprochen oder nicht, war es ein Lebensmotiv, das sein gesamtes Denken und Handeln geprägt hat. Wie er es verstanden hat, den Menschen im Alten Botanischen Garten mit seinen Märchenerzählungen von den Abenteuern der Physik die Angst vor der strengen Wissenschaft zu nehmen, so ließ auch er sich selbst nicht einschränken, weder von wissenschaftlichen Wording-Reglements noch von den Schranken zwischen den verschiedenen akademischen Disziplinen oder den Denk- und Handlungsbarrieren zwischen Wissenschaft und Kunst. Empfänglich und aufgeschlossen für den Zauber der Worte, hat er sich von den waghalsigen Sprach-Kunststücken und den Formexperimenten in den Bann schlagen lassen, die seine früh verstorbene Frau, die Theatermacherin und Performance-Künstlerin Ute Stammberger zusammen mit ihren Kollegen Peter Baer und Lothar Kreutzer in ihrer „Commedia Opera instabile“ zelebriert haben. Und seit langem schon fasziniert von dem ganz anderen Blick auf die Zeit, wie er ihn im chinesischen Denken hat ausfindig machen können, hat er sich auch von seiner langjährigen Weggefährtin, der Gesangsprofessorin Wang Li, zu neuen Perspektiven inspirieren lassen. Seine intellektuelle Offenheit lässt sich nicht zuletzt auch an den Themen seiner Vorträge und an dem bunten Spektrum ganz unterschiedlich fokussierter Foren, Konferenzen und Seminare ablesen, in deren Rahmen er seine Erkenntnisse präsentiert hat.

Auf der Tagung „Kunst und Wissenschaft“ an der Muthesius Hochschule Kiel hat er über „Imaginationen des Leeren im Wechselspiel von Physik und Mathematik“ gesprochen, auf der Internationalen Konferenz „Kunstkammer – Laboratorium – Bühne“ über „Das abenteuerliche Verhältnis von Physik und Geometrie“ referiert. An der Université de Lorraine in Nancy ist er auf den Spuren des linken Wirtschaftstheoretikers und Sozialphilosophen Alfred Sohn-Rethel dem Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines formal-abstrakten Denkens aus der Tauschlogik des Marktes und ihren Auswirkungen auf die Physik nachgegangen; am Art Department der Beijing Normal University hat er sich dem „Unterschied von chinesischer und europäischer Musik“ gewidmet, und auf einer Jahrestagung der Tanzwissenschaftler in der Deutschen Forschungsgesellschaft hat er seine Gedanken über „Tanzmoderne, Gravitation und Relativitätstheorie“ weitergegeben. Nur folgerichtig hat er seine Thesen schließlich mehrfach auch als Akteur in Performance-Installationen des Künstler-Duos Angela Dauber und Samuel Rachl präsentiert.

Immer wieder, fast regelmäßig, hat Rainer in seinem Verlangen, wissen und verstehen zu wollen, die Nacht zum Tag gemacht, hat bis in die frühen Morgenstunden, zuweilen auch bis zum Mittag an seinem Lebenswerk gearbeitet, hat Bücher zu sämtlichen Wissensgebieten akribisch durchgearbeitet, die ihm zur Entwicklung seiner Thesen im Spannungsfeld von Physik, Mathematik und Philosophie, von Ökonomie, Kunst- und Kulturgeschichte von Nutzen zu sein versprachen. Aber ein weltfremder Gelehrter, ein Stubenhocker, der nur noch Augen für das eigene Werk hat, ist er deswegen doch nicht gewesen. Gerade auch in der Nacht hat er seine Gespräche geführt, manchmal stundenlang, Gespräche, in denen es um den Alltag ging, um alltägliche, immer auch wichtige Lebensfragen seiner Freundinnen und Freunde. Aufmerksam hat er dabei zuhören können, hat nachdenklich aus der Fülle seiner Erfahrungen auch Ratschläge erteilen, besonnen zumindest Alternativen zu bedenken geben, zum Nachdenken anregen können. Und umgekehrt hat er sein Gegenüber auch teilhaben lassen an seinen Gedanken und Gefühlen, hat seine Freude mit fast kindlichen Worten teilen können, wenn er einen weiteren Meilenstein erreicht, einen nächsten entscheidenden Durchbruch in einer gerade anstehenden Arbeit geschafft hatte.

Wie seit seiner Jugend schon mit feinem Gespür für gesellschaftspolitische Fragen und motiviert durch seine Lust an der Auseinandersetzung, am Nach-Denken, am Noch-Einmal-Denken und Überprüfen der eigenen Position und der Position des anderen, hat Rainer in seinen zahlreichen Rundmails zu aktuellen Themen Empfehlungen ausgesprochen, hat auf kontrovers diskutierte Positionen verwiesen, auf die eine oder andere Veranstaltung, hat Links zu Videos und Vorträgen geschickt, hat seine Adressaten auf Fakten und Perspektiven aufmerksam gemacht, die ihnen möglicherweise entgangen waren. Nicht zuletzt schließlich hat er immer wieder auch ganz konkret Einspruch erhoben und sich eingemischt, hat Leserbriefe geschrieben und ist dabei auch vor weitreichenden Auseinandersetzungen nicht zurückgeschreckt: In einem längeren Schriftwechsel mit der Stadt München etwa hat er die Haltung des Münchner Kulturreferates infrage gestellt, das Kritik an der problematischen Palästina-Politik Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt und infolge eines Stadtratsbeschlusses die Vergabe städtischer Räume an die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe verweigert hat. Ausführlich und beharrlich hat Rainer seine Gegenposition so lange entwickelt, bis die Gegenseite den Briefverkehr irgendwann wortlos abgebrochen hat.

Rainer Gruber – ein Liebhaber der Künste und Wissenschaften, ein Fan der zeitgenössischen Tanzkunst, ein aufmerksamer Betrachter von Bild- und Sprachkunstwerken; ein leidenschaftlicher, auf absolute Präzision bedachter Mathematiker; ein Physiker, der sich in der Nachfolge Eddingtons dem Idealismus-Verdacht aussetzt; ein philosophierender Naturwissenschaftler, der in seinem Bemühen um eine unvoreingenommene Sicht auf die „Natur“ in den Augen manch eines Kollegen als Esoteriker gelten könnte; und nicht zuletzt ein Radikaler, der sich auch in seinen letzten Lebensjahren noch in tagesaktuelle politische Auseinandersetzungen einmischt.

Zuschreibungen dieser Art hätte Rainer womöglich lachend zustimmen können; aber vermutlich nur, um ihnen im nächsten Schritt mit einem Wahlspruch zu begegnen, den er mit seiner Frau Ute Stammberger geteilt hat – mit der zum Widerspruch, zum Nach-Denken reizenden Behauptung: Das Gegenteil ist auch falsch. Zugleich Lebensmotto und Denkmaxime, bringt dieser Satz vielleicht am prägnantesten Rainers weitgespannten Erfahrungs-, Forschungs-und Argumentationshorizont zum Ausdruck – sein Bemühen um ein ebenso unabgeschlossen-offenes wie genaues, auf kritische Prüfung, Einspruch und Widerspruch gründendes Denken und Handeln in steter Bewegung.